Das neue Berlin – Logo. Der letzte Schrei für das Stadtmarketing oder eher ein Hilfeschrei? Ich gebe zu, ich war etwas irritiert. Da wird die neue Kampagne als Errungenschaft angepriesen, kreiert von einer namhaften Agentur mit Cannes- und Effie-Gewinnen. Und dann schaue ich auf die Umsetzung und fühle mich, wie soll ich es sagen, irgendwie schockiert.
Was soll das für ein Logo sein? Was soll die Kampagne bewirken und für wen ist sie gemacht? Ansprechend finde ich persönlich das Ganze nicht. Doch wie bei jeder Kreation steckt bei der Agenturarbeit auch ein Kunde dahinter. Die Frage ist also: Ist dies die Handschrift der Agentur oder des Kunden? Ich versuche dies mal aufzuarbeiten, weil ich das Ergebnis verstehen möchte.
Die Vorgängerkampagne „be Berlin“ versus dem neuen Kampagnenversuch „WirSindEinBerlin“
Die neue Kampagne löst nun demnächst „be Berlin“ ab, welche seit 2008 die Vielfalt Berlins in den Fokus rücken und das Lebensgefühl der Hauptstadt erlebbar machen sollte. Rund um #FreiheitBerlin wurden in unterschiedlichen Kommunikationsmaßnahmen Themen adressiert, die Berlin einzigartig machen. Ziel war die Etablierung der Hauptstadt international als Marke. (Quelle: website Berlin-Partner.de) Die Motive zeigten einen Ausschnitt Berlins und setzte das Bild in den Kontext zum Hashtag „Freiheit Berlin“. Es war aus meiner Sicht eine Sehnsuchtswelt, die seiner Zeit viele nach Berlin zog. Sie spielte teilweise gekonnt mit dem Großstadtdasein und bezog durchaus Haltung, wie in dem Motiv „done with walls“ aus dem Jahr 2017.
Nun sind einige Jahre vergangen, die Stadt hat sich weiter entwickelt und die Anforderungen sind heute ganz andere als noch vor mehr als 10 Jahren. Verständlich, dass Berlin über ein neues Konzept nachdenkt. Und da ist es nun, das neue Kampagnen Konzept für die Hauptstadt. Wir sind ein Berlin, mit gleichnamigen Hashtag. „Die Berliner wünschen sich mehr Zusammenhalt und ein stärkeres Wir-Gefühl, heißt es aus der Berliner Senatskanzlei. Genau das soll der neue Markenauftritt leisten. Die Stadtmarke erstrahlt ab Mitte September nicht nur in einem neuen Design, sondern soll auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt stärker in den Mittelpunkt rücken.“ so steht es im Horizont vom 28.8.20. Weiter heißt es im Zitat von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller: „Berlin ist die Stadt der Freiheit, Toleranz und Vielfalt. Im neuen Markenauftritt des Landes Berlin geht es darum, neben der gelebten individuellen Vielfalt auch das zu betonen, was uns Menschen in Berlin miteinander verbindet“. Die Kampagne ist also eine Imagekampagne und will die Berliner in alltäglichen Situationen mit einem Augenzwinkern ansprechen. (Quelle Horizont.net, Artikel „Berlin verpasst sich neuen Markenauftritt und verändert Logo“, Autor Marco Saal v. 28.08.20)
Die Theorie kann ich gut verstehen, denn auch ich habe mich beruflich für die Marke Spreequell seit 3 Jahren mit dem sich wandelnden Berlin beschäftigt.
Die bestehende Kampagne weiterentwickeln
Nachdem was ich strategisch aus den damaligen und heutigen Aussagen zum Hintergrund der Kampagnen nachlesen konnte, hätte ich eine Weiterentwicklung der Kampagne erwartet. Aber warum das Logo verändert werden musste, erschließt sich mir nicht aus inhaltlicher Sicht. Sondern eher aus dem Schritt heraus, dass der Kampagnenclaim nicht mehr als Logo gestalterisch umsetzbar ist. Was aus meiner Sicht ein großer Vorteil der „be Berlin“-Kampagne war. Auch bin ich mir nicht sicher, ob eine kalt wirkende Textkampagne gegenüber einer emotionalen Bildwelt der bessere Ansatz für die inhaltliche Weiterentwicklung ist. In den vielen Marktforschungsrunden zum Selbstverständnis der Berliner habe ich eines gelernt: Der Berliner lässt sich nicht gerne erzählen, was er zu denken hat. Aber genau das macht die Kampagne. Sie vermittelt eine Draufsicht, da helfen auch die Worte „Du“, „Ich“ und „Wir“ nicht.
Maximale Aufmerksamkeit mit den falschen Stilmitteln
Zugegeben, die Vorgängerkampagne kann inhaltlich nicht mehr ganz die aktuellen Gedanken der Berliner abbilden, sie ist in die Jahre gekommen. Dennoch wirkt sie wesentlich positiver als der neue Kampagnenversuch. Headliner-Kampagnen sorgen zwar für gute Aufmerksamkeit, haben aber immer das Problem der Notwendigkeit kurzer Texte. Gerade für Plakatumsetzungen sind Textkampagnen eine echte Herausforderung.
Für die Optimierung des Berlin-Auftrittes hinsichtlich Aufmerksamkeit spricht nicht nur die Textkampagne an sich, auch die farbliche Umsetzung. Aus meiner Sicht wurde hier allerdings in die falsche Richtung optimiert. Ja, es handelt sich um die Hausfarben des Auftraggebers. Wer sich jedoch mit der Psychologie der Farben beschäftigt, wird sicher bei der Vermittlung eines Gemeinschaftsgefühls nicht auf die Farbe Rot oder Schwarz kommen.
Am Ende bleibt bei mir noch eine Frage offen. Für wen soll die Kampagne eigentlich sein? Für die Berliner offensichtlich nicht. Wenn sich die Einwohner Berlins mehr Wir-Gefühl wünschen, sollte sich dieses Gefühl doch im positiven Sinne in der Gesamtgestaltung der Kampagne wiederfinden. Mit positiven Beispielen voran gehen und diese zeigen. Das kann inspirierend sein, als Sehnsuchtsmoment oder Vorbild für andere. Wir-Gefühl kann nur aus der Wir-Perspektive funktionieren. Vielleicht wäre die Kampagne dann nicht mehr so ungesehen. Was soll’s! Kreativität zum Selbstzweck hat noch nie funktioniert. Meine Empfehlung: Es braucht nicht nur Mut Dinge anders zu tun. Es braucht vor allem Mut die guten Dinge beizubehalten und Aktualität hinzuzuaddieren. Wer am Ende welche Entscheidung für die Kampagnenumsetzung getroffen hat, lässt sich ohne Befragung der Beteiligten von außen nicht sagen. Aus meiner Sicht haben zu viele Personen zu viel gewollt. Es muss neu sein, es muss auffallen, es muss für alle Kanäle geeignet sein, es muss einfach sein, es muss… wer weiß wie viel noch sein. Am Ende des Tages hat die „Eierlegendewollmichsau“ wohl nicht funktioniert. Ob die Kritiker, mich eingeschlossen, richtig liegen, wird wohl die Zukunft zeigen.